Bernhard Wulff über die Musik von Bernardo M.Kuczer.

Sein kompositorisches Schaffen gliedert sich in drei Bereiche:

  1. Elektronische analoge Musik,
  2. Instrumentale Werke   
  3. Digital erzeugte Klang-und Bildwelten                                      


1. Mit dem Zyklus Civilizaciòn o Barbarie aus dem Jahre 1984 erregte er in der Szene der neuen Musik sofort Aufsehen. Der Titel stammt vom gleichnamigen Buch des argentinischen Autoren und späteren Präsidenten Domingo Faustino Sarmiento. Die Klänge, analog mit Kasettenrecordern realisiert, stehen in der Tradition der musique concrète. Reale Klänge werden durch Klang-Collagen und Loops unkenntlich gemacht und zu Erlebnissen brachial monströser Klanggewalt gewandelt, die nicht nur mit den Ohren gehört, sondern mit dem Körper erlebt werden. Kuczer suchte nicht die Eleganz der musicque concrete eines Pierre Schaeffer oder François-Bernard Mâche und teilt nicht den Fortschrittglauben der Avantgarde. Die Wurzeln des Zyklus Civilización o Barbarie sind vielmehr im Futurismus eines Russolos und der Schärfe der NOISE Music des Italieners Maurizio Bianchi zu verorten, einem Genre an der Grenze zwischen Popkultur und Avantgarde, das die herkömmliche Musikpraxis radikal in Frage stellt. Kuczers Zyklus bewegt sich mit seiner klanglichen Überforderung der Hörer an den Rändern des Erträglichen. Eine weitere Inspirationsquelle mag der legendären Auftritt von Jimmi Hendrix 1969 in Woodstock gewesen sein: Amerika befand sich im Vietnamkrieg und im Jahr zuvor wurde Martin Luther King erschossen. 

Als Aufschrei der Empörung einer jungen Generation zerfetzte Hendrix die amerikanische Hymne mit den Klängen seiner E-Gitarre. Während der argentinischen Militärdiktatur, deren Verbrechen bis heute nicht alle aufgeklärt wurden, studierte Kuczer Architektur in Buenos Aires. Man weiß aus dieser Zeit von Entführungen, Folterungen, Morden. Oppositionelle Kommilitonen wurden in Anwesenheit eines Priesters aus Flugzeugen ins Meer geworfen. Die argentinische Militärregierung wurde 1983 beendet, Bernardo schuf seinen Zyklus Civilización o Barbarie 1984.


2. Mit ähnlicher Radikalität notierte Kuczer seine Instrumentalwerke, von denen die allermeisten bis heute als unaufführbar gelten. Manche Partituren wurden von Musikern mit der Bemerkung an den Komponisten zurückgegeben, “ein Menschenleben würde nicht ausreichen, um es einzustudieren”. Seine Partituren zeichnen sich ausnahmslos durch eine große graphische Qualität aus, man spürt die zeichnerische Kompetenz eines Architekten. Für seine musikalischen Träume, Utopien und Sehnsüchte entwickelte er eine detaillierte, hochkomplexe Notation, die auch den neugierigen Instrumentalisten gelegentlich ratlos lässt. Bislang wurden nur 3 Instrumentalwerke von Kuczer aufgeführt.


3. 1999 wandte Kuczer sich ab vom Musikbetrieb, entwickelte nur noch eigene Computerprogramme mit denen er seine eigene digitale Welt der Klänge und Bilder schuf. Er entdeckte für uns in der oft kühlen digitalen Welt eine eigene Poesie. Ein Merkmal seiner Bilder ist ihr inneres Leuchten. Diese digitale Kunst für Auge und Ohr entstand als Spätwerk in seinen letzten Lebensjahren. Man meint auch in ihnen als klangliche Grundlage ebenfalls reale Klänge einer musique concrete zu hören. Auch in einigen der digitalen Bildern sind reale Vorlagen zu erkennen. Formal sind seine digitalen Klänge einfach strukturiert, eine Art athmosphärischer Ambiente-Klang ohne Narrativ, dafür filigraner, durchsichtiger als sein früher analoger Zyklus von 1984. 

Der Hörer fühlt sich von ihnen nicht überwältigt, sondern eingeladen.


Prof. Dr. h.c. Bernhard Wulff